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Gabriele Vasak: Den Dritten das Brot.

Roman.
Septime Verlag, Wien 2016.
141 Seiten; geb.; Euro 15,90.
ISBN 978-3-902711-55-7.

Gabriele Vasak

Leseprobe

Vom langen Schatten der Vergangenheit

Es scheint, als wäre endlich die Zeit gekommen, auch den deutschsprachigen Minderheiten, die in den Jahren um den Zweiten Weltkrieg verfolgt und umgebracht wurden, eine Stimme zu geben. Über Jahrzehnte war es common sense, dass alles Deutsche nur als Täter zu denken war, betrachtet man das Grauen des Holocaust, scheint das nachvollziehbar; dass aber viele einfache Menschen in die große Weltgeschichte hineingestolpert sind und aufgrund ihrer Sprache und Herkunft zu Unrecht verfolgt wurden, wurde jahrelang vergessen oder vernachlässigt.
Gleich mehrere literarische Veröffentlichungen machen das mittlerweile zum Thema, zuletzt Constantin Göttfert mit seinem hochgelobten Roman
Steiners Geschichte, der das Schicksal der Sudetendeutschen behandelte, dazu die jüngsten Veröffentlichungen zur deutschen Minderheit im Gebiet des ehemaligen Jugoslawien, den Donauschwaben. Nach Ulrike Schmitzer mit ihrem einfühlsamen Roman Die gestohlene Erinnerung begibt sich nun auch die 1963 in Wien geborene Autorin Gabriele Vasak auf eine Spurensuche, die tief in die politischen Verwerfungen der Nachkriegszeit führt, als die deutschsprachigen Siedler plötzlich Staatsfeinde waren und verfolgt wurden. Heute ist vom Erbe der Donauschwaben nichts mehr übrig, die Verfolgung durch Titos Partisanen und später sein kommunistisches System der Ausschließlichkeit war sehr gründlich. Abseits der großen Ideologien bleiben die Einzelschicksale, der Phantomschmerz einer ganzen Generation, die an die Wurzeln des Traumas über Jahrzehnte nicht gerührt hat; mit der unverdächtigen Enkelgeneration kommen aber die Fragen nach der eigenen Herkunft, nach Schuld und Verantwortung neu daher.

Wie in Schmitzers Roman sind es auch bei Vasak Mutter und Tochter, die sich nach Jahren des Vergessens aufmachen, um in das Land ihrer Großväter und -mütter zu fahren, um herauszufinden, wo ihre familiären Wurzeln liegen. Marlene und ihre Tochter Klara spüren den Verlusten nach, die sie und ihre Familie „im Zuge der Kriegswirren“ erlitten haben, wie es an einer Stelle heißt. Die Reise ist emotional, denn die Familie hat alles verloren, nicht nur das sogenannte „gute Leben“, sondern auch den Vater und Großvater, der nach Russland verschleppt wurde und dort in einem Lager starb, die Großmutter, die den Krieg ebenfalls nicht überlebt hat. Vasak erzählt wie beiläufig von den großen Schrecken des Krieges nach dem Krieg, es geht um die Jahre nach 1945, in denen Tito-Partisanen und danach das kommunistische Regime das Land systematisch säuberten. Ein Tabu, nach dem Krieg beginnt doch der Frieden. Nicht so für die Donauschwaben, für die im kollektiven Erinnern im Rahmen des Zweiten Weltkriegs kein Platz ist. Vasak erzählt vom Massaker von Hodschag, bei dem 181 Männer und zwei Frauen am Ortsrand von Od
žaci, wie der Ort heute heißt, von Tito-Partisanen ermordet wurden; zwei Tage später tötete die gleiche Brigade im nahen Ort Filipowa (Backi Gracac) nochmals 212 Männer und Heranwachsende. Was kann da noch übrigbleiben an Menschlichkeit, denkt man sich.

Klara und Marlene fahren an die schmerzhaften Orte der Erinnerung und schwanken zwischen Elend und Grauen, sehen aber auch Hoffnung, schließlich hat sie ein Brief von Jelena, einer ehemaligen Nachbarin und Spielkameradin von Marlene, an die Orte der Kindheit gebracht. Jelena hat, wie damals mit ihrer Mutter vereinbart, ein paar kleine Habseligkeiten, Bilder, Nippes, Erinnerungsstücke für die verfolgte Familie der Deutschen aufbewahrt. Es scheint, als wären die Porzellanfigürchen und Aquarelle die einzige Verbindung zu einer alten, längst untergegangenen Zeit, als diese große Weltgeschichte noch nicht willkürlich in das private Schicksal einfacher Menschen eingegriffen hat.
Am Ende des Romans begegnen sich Marlene, Klara und Jelena, sie sind gerührt und weinen, es fehlen ihnen die Worte, sie gehen gemeinsam essen und umarmen sich. Vasak beschreibt das nicht pathetisch, nicht anklagend und nicht eindimensional, sondern mit einer gehörigen Portion Respekt, den Tätern, den Opfern, den einfachen Menschen gegenüber. Das schlicht Menschliche, das Gefühl siegt am Ende über die Schatten der Vergangenheit, die bis in die Gegenwart hereingreifen wie Skelettfinger, es reicht aber schon, die dürre Hand nicht zu ergreifen und stattdessen in heißen Nächten auf einer Terrasse ein Glas Zitronenlimonade zu trinken, den Wind im Haar; das sagt zumindest Jelena, und die muss es ja wissen.

Bernd Schuchter, 16. März 2016

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen VerfasserInnen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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