Leseprobe:
Die Nacht war sternenlos, der Knall gegen die Stoßstange dumpf, die Blutspritzer auf der Windschutzscheibe spärlich, ein Hundeleben in Serbien ist schnell zu Ende, ein Menschenleben auch. War es zumindest vor siebzig Jahren, als Klaras Urgroßmutter im Alter von achtundfünfzig Jahren in einem serbischen Internierungslager starb wie eine kranke Fliege – verhungert und liegen gelassen im Dreck, dann weggeräumt und verscharrt in einem Massengrab, dachte Klara, als sie die unbedeutende Irritation des Fahrens wahrnahm. Alles in Ordnung, Mama?, fragte sie schnell, doch sie überlegte keinen Moment lang stehen zu bleiben, ihre Mutter und sie allein unterwegs in dieser pechschwarzen Nacht in einem Land, das sie bisher nur von deren Erzählungen und aus Zeitungsberichten über die Jugoslawienkriege kannte, ein Land, das ihr fremd war und dem sie sich trotzdem verbunden fühlte, zumindest seit jener Zeit, da die Mutter zu sprechen begonnen hatte, Jahrzehnte, nachdem alles passiert war, erst, nachdem der Brief gekommen war.
(S. 7)
© 2016 Septime Verlag, Wien