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Roman.
Berlin: Suhrkamp, 2022.
220 Seiten; Hardcover; EUR 23,-.
ISBN 978-3-518-43056-9.
Anna Kim Leseprobe
Im Januar 2013 tritt die österreichische Schriftstellerin Franziska eine Gastdozentur an der Universität Wisconsin an und macht dort die Bekanntschaft der Deutsch-Lektorin Joan Truttman. Joans Mann Daniel, genannt "Danny", erholt sich gerade in einem Krankenhaus von einem Schlaganfall. Getroffen von diesem unerwarteten Schicksalsschlag beginnt sie, Franziska von Daniels Leben zu erzählen, der in den 1950er Jahren als einziger Farbiger der Stadt von einer Pflegefamilie großgezogen wurde.
Selbst zu Wort kommt Danny in der Geschichte, die von ihm handelt, also nicht. Rund um diese Leerstelle entwirft Anna Kim in ihrem jüngsten Roman ein biografisches Mosaik, das durch Gespräche mit Joan und den Bewohner:innen von Green Bay allmählich an Kontur gewinnt. Eine nicht unwesentliche Quelle sind dabei auch die vom Sozialdienst der Erzdiözese Green Bay erstellten Akten. Dieser tritt auf den Plan, nachdem Daniels Mutter ihren Sohn unmittelbar nach der Geburt zur Adoption freigibt. Der Sozialdienst sieht sich nun mit dem Problem konfrontiert, eine Pflegefamilie für den "Mischling" zu finden. In Person von Marlene Winckler wird eine "case workerin" mit dem Fall betraut, die an der vom Nationalsozialismus beeinflussten Schule von Ilse Arlt zur "Volkspflegerin" ausgebildet wurde und bis zu ihrer Suspendierung bei der Ermittlung von Dannys "negrider" Abstammung alle Register zieht.
In Zeiten von Black Lifes Matter legt Anna Kim mit der Geschichte eines Kindes einen fulminanten Versuch vor, basierend auf einer "wahren Begebenheit" den tief verwurzelten Rassismus als eine historische Wirklichkeit zu schildern, die heute kaum mehr jemanden kalt lassen kann. Nicht nur Joan und Franziska, sondern auch die Bürger:innen von Green Bay beginnen sich für diese exemplarische Geschichte des gutmütigen Busfahrers Danny zu interessieren, die zwar dramatisch beginnt, bei den Pflegeeltern aber eine unerwartet glückliche Wendung nimmt.
Rezension von: Philipp Hubmann, 07. 11. 2022
Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.
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