Die heutige Nacht war eine der schlimmsten des Weltkrieges. Gestern abends um 9.40 wurden wir alarmiert, denn das Brig. Kmdo sei durch eine Lawine verschüttet. Darauf watete ich bereits mit einer Laterne an der Spitze meiner Leute durch den meterhoch gewehten Schnee. Leider war der Umfang des Unglücks noch größer. An 5 Stellen mußten wir zugleich arbeiten. Es schaudert mich die Zahl der von uns geborgenen Leichen anzugeben. Wir legten die armen Unglücklichen, die ganz nackt waren, da sie sich entkleidet zu Bett gelegt hatten, auf einen Haufen. Den Anblick der durch Balkensplitter zerquetschten und durch die Kälte steifgefrorenen nackten Leichname werde ich mein Lebtag nicht vergessen. Wir waren alle erschüttert, besonders aber durch die ungeheure Zahl derselben. Wir hier haben es nicht nötig, an unsere religiösen Pflichten erinnert zu werden. Arbeiteten wir doch gestern bis 4 h früh wie die Tiere unter der fortwährenden Gefahr nachbrechender Lawinen. Walli bemühte sich, durch künstliche Atmung etwas bei den Armen zu erreichen, aber ihre Zahl war zu groß und es war meist zu spät. Wir arbeiteten im Scheine von Pechfackeln. Ich habe mir eine Bronchitis mit Schnupfen zugezogen, ist auch kein Wunder.
Die lebendig Geretteten waren meist irrsinnig, liefen im Hemd im Schneesturm herum und mußten von uns eingefangen werden. Einer attackierte den Wallnöfer. Es sollen alle, die ruhig und sicher im Tal sitzen, unserem Herrgott danken, schon deshalb, weil er ihnen erspart hat, so viel Schauriges zu sehen, als wir sehen mußten. Ich habe Leichen ausgegraben, so wie man Kartoffel aus dem Acker gräbt, die Blutspuren waren im Schnee unsere Wegweiser. (S. 454–455).
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