Don Pascale hob den Kopf. Er sah mich an, lange und durchdringend. Obschon ich versucht war, den Blick zu senken, hielt ich stand. Wenn man sich dazu durchgerungen hat, einen Fehler zu korrigieren, hat man nicht die Freiheit, zu zweifeln. Noch dazu, wenn man nicht recht weiß, worin der Fehler lag. Daß ich mich im ersten Moment geweigert hatte, ein Mädchen zu entführen, konnte mir, bei den Erfahrungen, die ich mit Aufträgen Mister Giordanos gesammelt hatte - niemand vorwerfen. Andererseits handelte es sich bei dem Mädchen um Don Pasquales Enkelin; dafür zu sorgen, daß der todkranke Alte sich von seiner geliebten Angelina verabschieden konnte, war im Grunde nichts anderes als eine Art Familienzusammenführung - auch wenn sie gegen den Willen der Eltern erfolgte. Immerhin hatte ich in den zwei Tagen einiges über Don Pasquale erfahren, was meine ursprüngliche Haltung abgemildert hatte. Der Mann war angesehen, man suchte seine Freundschaft und begegnete ihm mit Respekt. Vielleicht war er doch kein Kinderschänder, sondern nur ein alter, kranker Mann, der sein Ende nahen sah und sich von seiner Enkelin verabschieden wollte. Vielleicht war ich zu mißtrauisch gewesen. Andererseits konnte man bei Mister Giordano nie sicher sein, welche verborgenen Fußangeln noch zum Vorschein kommen würden.
Folgendes: Ich konnte es Groll nicht verdenken, daß er skeptisch war. Tatsächlich war der Auftrag aber kinderleicht. Ich wollte Groll für das Ungarn-Desaster entschädigen und wollte ihm zu Geld verhelfen, ohne ihn zu beschämen. Warum sollte er mit diesen lauteren Motiven rechnen? Der Hauptgrund aber war: Ich wollte Don Pasquale - und meiner Elvira - einen letzten Liebesdienst erweisen.
Ich hatte eine der wichtigsten Regeln in unserem Geschäft mißachtet: Ein edles Motiv bringt eine Sache noch nicht um. Mehrere edle Motive aber sind ihr sicherer Tod.
(S. 98 f)
© 2006, Otto Müller Verlag, Salzburg-Wien.