(S. 93-94)
1939. Der Marschtritt über Europa, der Schnitt in einer Biographie, das Ende einer hoffnungsvollen Karriere. Die Freunde in viele Länder zerstoben, manche später in Hitlers Konzentrationslagern ermordet. Urzidil kann in letzter Minute über Italien nach England fliehen. 1941 weiter in die USA, deren Bürger er 1946 wird und wo er bis ans Ende mit seiner Frau lebt. In seinem letzten Jahrzehnt wird er im deutschen Sprachraum vielfach ausgezeichnet, erhält Preise in Köln und Berlin, Österreich ehrt ihn - als einen der Seinen? - mit dem Titel eines Honorarprofessors und 1964 mit dem Großen Österreichischen Staatspreis für Literatur. Nie mehr aber wird er den Boden seiner böhmischen Heimat betreten. Österreich war ihm, wie dem Geistesverwandten Theodor Kramer, der bis Mitte der 50er Jahre im englischen Exil blieb und nur heimkam, um zu sterben, nicht nahe genug. Bis ans Ende seiner Tage schreibt Urzidil über die Stadt seiner Geburt und eine versunkene Welt: Prager Triptychon, Letztes Läuten, Der Trauermantel, Morgen fahr ich heim ...
Doppelleben: Johannes Urzidil schreibt in New York über Prag, Ingeborg Bachmann in Rom über Wien. Beide aber, wenn auch unter anderen Vorzeichen und in unterschiedlicher Intensität, schreiben über die Spuren eines untergegangenen Reiches und über die Sehnsucht nach einer gewaltfreien Sprache, einer humanen Welt.
© 2007 Haymon Verlag, Innsbruck - Wien.