|
|
Gesucht nach " Marianne Fritz".
Es wurden 33 Ergebnisse in 0 Millisekunden gefunden.
Zeige Ergebnisse 1 bis 10 von 33.
-
Marianne Fritz September 2003 Wohl kaum eine andere österreichische Autorin hat ein so umfangreiches Werk vorzuweisen wie Marianne Fritz. Trotzdem kennt kaum jemand die Literatur von Fritz - Leser findet sie nach wie vor eher in Germanistenkreisen. Ein Theaterprojekt will das ändern, und Karin Cerny versucht sich in das sperrige Werk einzulesen. Es ist gar nicht so einfach, der Autorin Marianne Fritz auf die Spur zu kommen. Im Kindler Literaturlexikon folgt auf Barbara Frischmuth ein gewisser Walter Helmut Fritz. Eine Marianne sucht man vergeblich. Die letzten öffentlichen Lesungen der menschenscheuen Autorin liegen weit in den 70er Jahren zurück. Die vereinzelten Fotos, die von Fritz in Umlauf sind, zeigen eine Frau mit eigenwilliger Brille. Fragt man nach ihrem Werk, wird man in Buchhandlungen auf Antiquariate verwiesen. Im Internet stößt man zwar auf ihren zwölfbändigen Monumentalroman "Dessen Sprache du nicht verstehst" (3.392 Seiten, geschrieben in nur vier Jahren), der für rund 120 Euro angeboten wird, die darauffolgenden "Naturgemäß I" und "Naturgemäß II" (gemeinsam nochmal rund 10.000 Seiten) wird man hingegen kaum, und wenn dann nur zu horrenden Preisen finden. Ein Münchner Antiquar merkt bei der Beschreibung des Zustandes der Ausabe lapidar an: "Schönes (natürlich ungelesenes) Exemplar". Marianne Fritz ist wahrscheinlich die ungelesenste Autorin überhaupt - noch vor Hans Henny Jahnn, Arno Schmidt und Robert Musil. Aber ist das schon ein Qualitätsmerkmal? Ist Fritz eine unterschätzte Autorin, die man wiederentdecken sollte? Oder bleibt sie auch weiterhin vorrangig Germanistenfutter? Das Stadt Theater Wien - bekannt für seine Vorliebe für sperrige Texte, die nach monatelangen Selbstversuchen als Klanginstallationen in eigenwilligen Räumen präsentiert werden - wollte es wissen: Seit April 2002 liest die Gruppe öffentlich Texte von Marianne Fritz. In einer Kohlenhalle am Gelände des ehemaligen Aspangbahnhofs präsentiert sie jetzt unter dem Titel "Im Weißen Adlerweißland" eine Theaterversuchsanordnung mit zwölf Seiten aus "Naturgemäß I". Für Anne Mertin vom Stadt Theater Wien ist Fritz "ein verlängerter Nestroy", sie ist begeistert vom theatralischen Klang der Texte und von der "wahnsinnigen Bosheit der Autorin". "Welch eine Anmaßung", schrieb, weniger euphorisch, der "Spiegel", als "Dessen Sprache du nicht verstehst" 1985/86 erschien. Die professionelle Kritik war gespalten bis ratlos. Die FAZ hatte schnell ein abwertendes Urteil zur Hand für diesen "riesenhaften Flohzirkus", der "Spiegel" gab seinem Rezensenten ein Monat Urlaub, um sich in Ruhe auf dem Land in das Werk zu stürzen. Er kapitulierte auf Seite 2.934. Rolf Michaelis von der "Zeit" schaffte es bis auf Seite 1.235 in diesem "größenwahnsinnigen Werk". Kritiken wurden "Etappenberichte". Konrad Paul Liessmann hingegen hat für den "Falter" (2/86) einst alles gelesen, die Schönheit des Textes gepriesen und seine faulen Kollegen gescholten. Wir sehen: Marianne Fritz produziert Spezialisten. Aber kann man Spezialisten trauen? Wer sich durch das Werk gearbeitet hat, muss beinahe begeistert sein - sonst müsste er ja zugeben, ziemlich viel Lebenszeit auf etwas verwendet zu haben, das ihm nichts gebracht hat. Eigener Etappenbericht einer auf Seite 863 abgebrochenen Lektüre mit vielen Krisen: Erstaunlicherweise lässt sich "Dessen Sprache du nicht verstehst" im Kern sogar nacherzählen. Das Buch beginnt 1914 und erzählt die Geschichte vom Untergang der Proletarierfamilie Null in Kriegszeiten. Wäre nicht die wuchernde Sprache - ein lyrischer Ton, der allerdings in epischer Breite auftritt -, könnte man durchaus von kritischer Heimatliteratur sprechen. Bereits Liessmann hat diese seltsame Differenz zwischen "der Schlichtheit des Erzählten und dem hypertrophen Wuchern der Erzählung" benannt. Überraschend auch, dass Marianne Fritz nicht unbedingt eine intellektuelle Herausforderung darstellt: Auktoriale Reflexionen fehlen, Fritz bleibt nah an ihren Figuren (an die 1.000!), obwohl sie polyphon erzählt. Die Frage ist, ob man in ihre ausufernde und eigenwillige Sprache und die ländlich geprägte Welt einen Zugang findet - einen Kosmos voll sprechender Namen wie "der König der Eierschwammerl", "der denkende Bienenvater" oder die Marktgemeinde "Nirgendwo". Großstädtische Literatur schreibt Fritz nicht: Frauen sind "Weiber" und religiöse Überlegungen durchziehen das Werk. Natürlich ist vieles ironisch gemeint. Aber wie ironisch kann man Namen nehmen, die klingen als kämen sie direkt aus "Herr der Ringe"? Marianne Fritz, 1948 in der Steiermark geboren, stammt wie ihre Figurenwelt aus bescheidenen Verhältnissen, absolvierte eine Bürolehre, holte die Matura nach. Fritz lebt heute, von der Umwelt weitgehend abgeschlossen, in der Wiener Schottenfeldgasse und schreibt unermüdlich: dem Vernehmen nach ist "Naturgemäß III" beinahe abgeschlossen. Die mehrere Bände umfassenden Sammel-Kassetten der beiden "Naturgemäß" sind bei Suhrkamp als Faksimile erschienen, wobei "Naturgemäß II" voll mit Landkarten und Zeichnungen ist, die den Text mitunter überlagern. Oft kommt man sich vor, als müsste man ein Physikbuch "lesen". Noch irritierender aber ist die Unterschrift von Fritz (die limitierte Auflage ist signiert): Mit Füllfeder steht da mit der Schrift einer Volksschülerin ihr Name klein wie in einem Schulbuch - so provokant bescheiden, dass man in Versuchung kommt, das als ironisches Rollenspiel zu verstehen. Hier ein hybrides Werk, hoch und unwirtlich wie der Großglockner, dort eine Autorin, die sich klein macht vor ihrer unheimlichen Sprachbesessenheit. Mit dieser Unterschrift stellt sie sich auf eine Stufe zu ihren Figuren. So sympathisch das ist, so unheimlich ist es auch. "Es ist ein singuläres Werk, vor dem man nur stehen kann wie ein Gläubiger Muslim vor der Kaaba", kommentiert Elfriede Jelinek auf Anfrage. "Wahrscheinlich bin ich im ganzen zu klein für Marianne Fritz, sie geht nicht in mich hinein." Dieser Text ist auch im "Falter" 36/03 erschienen.
-
Marianne Fritz Marianne Fritz Textlandschaften Ausstellung & Performance 05. bis 28. April 2011 Aktionsradius Wien Gaußplatz 11 A-1200 Wien Erstmals werden die "Textlandschaften" von Marianne Fritz ausgestellt. Weiters werden die Powerpoint Show "Alles was uns hier und heute fehlt verlegen wir in die gute alte Zeit" sowie ein Comic-Zyklus von Magdalena Steiner nach Texten von Marianne Fritz gezeigt. Was normal ist, entscheidet in letzter Instanz jenes Kräfteverhältnis, das auf einem bestimmten Gelände die Bedeutungsgeschichte fürs Normale übernommen hat Erstveröffentlichung des Romanfragments "Naturgemäß III" von Marianne Fritz 29.09. - 8.10.2010 LiteraturHaus Graz Elisabethstrasse 30 A-8010 Graz 0043 (0)316 380 - 8360 literaturhaus@5k uni-graz.at http://www.literaturhaus-graz.at/ Eine Kooperation von Fritzpunkt, steirischer herbst und Literaturhaus Graz Ausgestellt werden alle 650 bislang unveröffentlichten Romanseiten. Zudem setzen sich sechs Grazer AutorInnen mit den Textbildern auseinander und geben gemeinsam mit dem Theaterkollektiv Fritzpunkt Orientierungshilfen.
-
Marianne Fritz: Kurzbiografie Werke Geboren am 14. Dezember 1948 in Weiz / Steiermark. Gestorben am 1. Oktober 2007 in Wien. Nach einer Ausbildung zur Bürokraft erlangt sie auf dem zweiten Bildungsweg die Matura. Bereits für ihren ersten Roman "Die Schwerkraft der Verhältnisse" (1978) erhält sie den Robert-Walser-Preis. Danach Arbeit an einem Großprojekt mit dem Titel "Die Festung", das die Geschichte der ersten und zweiten Republik Österreich thematisiert. 1985 Erscheinung des monumentalen Romans "Dessen Sprache du nicht verstehst" (12 Bände, 3387 Seiten), 1996 und 1998 Veröffentlichung von zwei weiteren umfangreichen Werken unter dem Titel "Naturgemäß" I und II (jeweils 5 Bände). Seit 2002 veranstaltet das Stadt-Theater Wien unter dem Namen "Fritzpunkt" eine ständige Reihe von Lesungen und Aufführungen des Werks von Marianne Fritz. Mariann Fritz lebte als freiberufliche Schriftstellerin in Wien. http://www.fritzpunkt.at Preise, Auszeichnungen: 1977 Nachwuchsstipendium für Literatur des Bundesministeriums für Unterricht und Kunst 1978 Robert-Walser-Preis 1978 Jahresstipendium des Bundesministeriums für Unterricht und Kunst für dramatische Autoren 1979 Förderungspreis der Stadt Wien für Literatur 1980 Staatssipendium des Bundesministeriums für Unterricht und Kunst für Literatur 1983-85 Elias-Canetti-Stipendium der Stadt Wien 1986 Rauriser Literaturpreis der Österreichischen Länderbank 1988 Literaturpreis des Landes Steiermark 1989 Förderungspreis des Bundesministeriums für Unterricht und Kunst für Literatur 1990 Förderungsgabe für Kunst und Wissenschaft des Landes Vorarlberg für Literatur 1990-93 Robert-Musil-Stipendium 1994 Würdigungspreis der Stadt Wien für Literatur 1999 Peter-Rosegger-Preis 2001 Franz-Kafka-Preis der Stadt Klosterneuburg Portrait der Autorin von Karin Cerny: Marianne Fritz
-
Marianne Fritz: Werke Bücher: Die Schwerkraft der Verhältnisse. Hrsg.: Thomas Beckermann. Frankfurt/M.: S. Fischer, 1978. Das Kind der Gewalt und die Sterne der Romani. Roman. Frankfurt/M.: S. Fischer, 1980. Was soll man da machen. Eine Einführung zu dem Roman "Dessen Sprache du nicht verstehst". Einf.: Heinz F. Schafroth. Frankfurt/M.: Suhrkamp, 1985. Dessen Sprache du nicht verstehst. Roman in 12 Bänden. Frankfurt/M.: Suhrkamp, 1986. Naturgemäß I. Entweder Angstschweiß Ohnend oder Pluralhaft. 5 Bände. Frankfurt/M.: Suhrkamp, 1996. Naturgemäß II . Es ist ein Ros entsprungen / Wedernoch / heißt sie. 5 Bände. Frankfurt/M.: Suhrkamp, 1998. Naturgemäß III Oder doch Noli me tangere "Rührmichnichtan!". Wien: Büro für theatralische Sofortmaßnahmen, 2011. Über Marianne Fritz: Klaus Kastberger (Hrsg.): Nullgeschichte, die trotzdem war. Neues Wiener Symposium über Marianne Fritz. Wien: Sonderzahl, 1985.
-
Leseprobe: Marianne Fritz - "Naturgemäß II"
-
Ausstellungen F Brigitta Falkner Falco Sigi Faschingbauer Karl Farkas Franz Michael Felder Ludwig von Ficker Humbert Fink Erich Fitzbauer Paul Flora Heinz von Foerster Viktor Frankl Franzobel Karl Emil Franzos Sigmund Freud Johannes Freumbichler Erich Fried Egon Friedell Barbara Frischmuth Gerhard Fritsch Herms Fritz Marianne Fritz Gertrud Fussenegger
-
AutorInnen F Marianne Fritz Ein Theaterprojekt begibt sich auf die Spuren der selten gelesenen Autorin
-
Marianne Fritz: Naturgemäß II. Es ist ein Ros entsprungen / Wedernoch / heißt sie. Frankfurt /Main: Suhrkamp, 1998. 2720 S., geb. ISBN 3-518-40992-1. Link zur Leseprobe Mit dem Vorliegen der Werkcassette "Naturgemäß II" läßt sich nunmehr der reale Hintergrund des "Festungs"-Werkes von Marianne Fritz weit über den Ort Przemysl hinaus nachvollziehen. Der topographische Rahmen erstreckt sich vom Schwarzen Meer bis nach Polen, rein zeitlich reichen die Ereignisse bis ins 15. Jahrhundert und punktuell sogar weiter zurück. Die Festung Przemysl liegt mitten in Galizien; dem Schuljahr 1872/73 kommt eine besondere Bedeutung zu, mehrere hundert Textseiten sind den Vorgängen in einem Klassenraum gewidmet. Ein Schüler namens Onufry macht sich dann auch zu einer Wanderung nach Przemysl auf; ein Weg, der in "Naturgemäß" wiederholt beschritten wird: von allen Seiten und zu allen Zeiten driften die Figuren auf die Festung zu; Przemysl zieht die Leute an sich wie eine Lichtquellen die Insekten. Galizien selbst steht bei Fritz nicht nur für einen realen, sondern auch für einen mythischen Raum; Topographie und Geschichte sind hier nicht nur in militärischen Karten verzeichnet, sondern gewissermaßen in die Seelen und Körper der Bevölkerung eingeschrieben. Dabei ist es der Autorin um einen speziellen Winkel des Landes, ein Gebiet namens "Gottesauge" zu tun; dieses Dreieck wird von der Linie Krakau-Przemysl und nach oben hin von den beiden Flüssen Weichsel und San gebildet. Die Grundlinie von "Gottesauge" korrespondiert mit den Fingern und Handballen der beiden transzendenten Erscheinungen Manda und Sani. Die Kinder des Landes bilden den geographischen Raum mit ihren Händen wie ein Dach über dem Kopf nach; historisch aber ist das Gebiet von den Verwaltungskreisen der Österreicher überlagert. Fritz entwirft mit solchen Eintragungen das Schichtmodell einer Region, die von Krieg und Vernichtung gezeichnet ist. Derartige Katastrophen wirken sich in "Naturgemäß" auch formal aus, dem Leser streckt sich mit dem Text ein zerklüfteter Korpus entgegen. Einzelne Wörter werden auseinandergerissen, Buchstaben eingekreist und Silben zerstochen, so daß bald der ,Orden' im ,Morden' steckt und - wortwörtlich - das ,Erz' im ,Herz'. Dem Text erwächst aus diesen Strukturen eine ungeheure Ambivalenz, Verdoppelungen und richtiggehende Buchstabenkunstwerke werden geschaffen; Bruchlinien, die den Text in Zähler und Nenner teilen, ziehen sich über Seiten hinweg. Anderswo kommen, um die Dinge eindeutig zu markieren, militärische Orientierungshilfen zum Einsatz: ein XXX steht für andauernde Kämpfe, ein // bildet das Zeichen für fortwährende Folter, in verschiedenen Farbcodes definiert sich die Strategie. An einer Stelle wird der Ort Przemysl dann wirklich als eine 'Pumpe' des Lebens bezeichnet, von deren Rettung die ganze Geschichte abhängt. Mit dem Schicksal der Eingeschlossenen steht in "Naturgemäß" alles auf dem Spiel, große Staaten- und Weltgeschichte überlagert sich mit individuellem Geschehen. Dabei kommt es zu seltsamen Verknüpfungen: "Rutschtage" von einem Datum zum anderen finden statt, manchmal werden von einer Zeile zur anderen ganze Jahrhunderte übersprungen. Manche Figuren (wie beispielsweise eine gewisse Bibi Nuntaker) sind in "unsichtbaren Gängen" unterwegs; auch gibt es "Luftlöcher" im Raum, durch die schon einmal eine Figur entschlüpfen kann. Gewissen Gestalten wird, wie es mit einer wiederkehrenden Wendung heißt, "die Erddecke aufgehoben", was wohl soviel bedeutet, daß sie aus einem Zeitraum in einen anderen versetzt werden. Dies betrifft beispielsweise einen "General der Generäle", der aus dem 17. Jahrhundert kommt und im Jahr 1914 plötzlich in der Schlacht um Przemysl auftaucht. Die Verbindungen, die in solchen "Legierungen" und "Karambolagen" geschaffen werden, spiegeln sind in der äußeren Form des Textes wider. Die Schrift selbst macht sich zum Thema, der Text wird gefaltet und damit fortwährend die Geschichte und die Topographie des Raumes neu interpretiert. Als Nukleus all dessen lauert im Hintergrund die "Tiefenstaffelung der Front"; ein Erklärungsmodell, vor dem alle Biegungen und Beugungen des Textes doch noch einen Sinn erlangen. Ein wichtiges Element des Textes ist die "kleine Flußschrift", die Autorin vergleicht seine Funktion mit dem "Entlanggehen an einem Ufer", allerdings "wider die Laufrichtung des Wassers". Mit der kleinen Flußschrift kann solcherart das Einzugsgebiet des Meeres, des Stromes, des Flusses und des Baches vermessen werden, jedoch, wie Fritz anmerkt, "wirklich nur 'einmal', im Augenblicke des Auftauchens, das gleichzeitig ein Eintauchen ins 'Es war einmal' ist." Das Festungs-Projekt und allen voran "Naturgemäß" lassen sich selbst als die unablässigen Anwendungsfälle der kleinen Flußschrift verstehen. Das Gegenwärtige, welches sich aktuell um Przemysl 1914/15 gruppiert, wird in einer einzigen Berührung, die gleichzeitig auch schon sein Untergang ist, als Einzugsgebiet des Vergangenen greifbar. So ernst wie die österreichische Autorin es mit der Wirkkraft von Geschichte nimmt, hat es mit ihr lange kein Schriftsteller genommen. Aberhunderte Figuren- und Ortsnamen (von "Hier-alles-Karotte" bis "Dort-kommst-du-nie-an") und Dutzende von Datumseinträgen bringen etwas von dem zur Evidenz, was in der Großregion Polen, diesem "ewigen Todesgebiet", bis über den Ersten Weltkrieg hinaus rücksichtslos zerstört und systematisch vernichtet wurde. Die negative Ontologie der Autorin weist dabei nicht nur auf die blutige Vergangenheit, sondern bereits auch auf eine fernere Zukunft hin. Dort wären dann, wenn es das Buch "Naturgemäß" nicht gäbe, alle Spuren getilgt, die die Menschenleiber in der Festung hinterlassen haben. Klaus Kastberger 15. März 2000
-
Marianne Fischer: Erotische Literatur vor Gericht. Der Schmutzliteraturkampf im Wien des beginnenden 20. Jahrhunderts. Wien: Braumüller, 2003. (Untersuchungen zur österreichischen Literatur des 20. Jahrhunderts. 16). 203 S.; brosch.; Euro 25,90. ISBN 3-7003-1434-5. Um 1900 gerieten die gesellschaftlichen Rollenbilder ins Wanken und damit jahrhundertealte patriarchale Gepflogenheiten. Sexualität wird problematisch und das Rästel Weib zum Thema. Die literarischen Verarbeitungen der Thesen von Sigmund Freud, Richard Krafft-Ebing oder Otto Weiniger und die Konstrukte von femme fragile und femme fatale sind in einer Vielzahl von Studien analysiert und durchdiskutiert worden. Ebenso die Kritik der jungen Autorengeneration an Scheinmoral und Heuchelei der bürgerlichen Gesellschaft, die aus Mangel an lebbaren Konzepten für das Zusammenleben der Geschlechter Doppelmoral zum Prinzip erhob. Man tut es ab, war die bekannte Antwort von Schnitzlers Vater auf die sexuellen Probleme der Söhnegeneration, die Erfindung des süssen Mädels jene des Sohnes. Marianne Fischer liefert mit ihrer Darstellung des Kampfes gegen Schmutz- und Schundliteratur sozusagen das aktenkundig gewordene Unterfutter zu dieser Befindlichkeit um 1900. 1905 wurde in Wien - verglichen mit Deutschland etwas verspätet - der Verein "Volksaufklärung. Gesellschaft zur Verbreitung der guten Sitten" gegründet, der von nun ab bis zu seiner Auflösung 1922 eifrig gegen bedenkliches Schrifttum und pornographisches Bildmaterial auftrat. In einer Fülle von "Eingaben" gegen pornographische Buch- und Kunsthändler kämpft der wackere Verein für die Aufrechterhaltung der Sitten. Überraschenderweise entpuppt sich das über weite Strecken als Kampf gegen Windmühlen, wiewohl die Zeitstimmung und vor allem die polternden Teile der christlichsozialen Presse durchaus für die Saubermänner arbeiteten. Doch das Kompetenzwirrwarr in den Behörden und Ministerien ist groß, und vor allem sind die bürgerlichen Gesetze der Marktwirtschaft flexibel und anpassungsfähig. Wird prozessual erstritten, dass abgeschlossene Schundheftchen nicht mehr unter das Kolportagegesetz fallen, d. h. nur im konzessionierten Buchhandel und nicht am Kiosk vertrieben werden dürfen, stellen sich die Produzenten flugs auf serielle erotische Geschichten und Bildfolgen um. Was Marianne Fischer nicht herausarbeitet wird in ihrer systematischen Darstellung trotzdem deutlich: wie Karl Kraus nicht müde murde nachzuweisen, ist Doppelmoral auch das Geschäftsprinzip des kapitalistishen Wirtschaftssystems. Was auf den Kulturseiten wortreich als Schund bekämpft wird, sorgt im Annoncenteil für willkommene Einnahmen. Das belegen auch die ausführlich dargestellten Fallbeispiele, allen voran jenes der Brüder Wilhelm und Philipp Suschitzky, die als Verleger zahlreicher Publikationen der Arbeiterbewegung und als Juden ein besonders multiples agitatorisches Angriffsziel für Propagandakampagnen wider die Unmoral boten. Weitere Fallbeispiele sind Fritz Freund, dem Verleger von Arthur Schnitzlers Reigen gewidmet und dem großen Prozess gegen den Buchhändler Carl Wilhelm Stern nach einer Massenkonfiskation von 30.000 Büchern. Das Pikante an der Sache war auch, dass die Beschlagnahmung erfolgte, obwohl Stern alle Bücher vorher der Behörde vorgelegt hatte und zu seinem Abonnentenkreis viele prominente Namen und hochwohlgeborene Geister, auch aus dem kirchlichen Milieu, gehörten. Die im Anhang beigefügten Anklageschriften und Eingaben runden den Sittenbericht mit anschaulichem Originalmaterialien ab. Es ist nur ein ganz kleiner Teil der Unmengen von Aktenbergen und Archivkladden, die die Autorin für ihre Arbeit - wohl zum Großteil zum ersten Mal - gesichtet hat. In dieser mühevollen Sichtungsarbeit liegt auch der Hauptverdienst der Arbeit, von der man sich vielleicht hin und wieder ein etwas stärker und freier interpretatives Vorgehen gewünscht hätte. Evelyne Polt-Heinzl 26. Mai 2003 Originalbeitrag
-
Franz Haas; Hermann Schlösser; Klaus Zeyringer: Blicke von außen. Österreichische Literatur im internationalen Kontext. Innsbruck: Haymon, 2003. 208 S., brosch., 22,- Euro. ISBN 3-85218-423-1. Keine Frage: Jeder von uns sollte ab und an einen Gedankenschritt zur Seite machen und seine Situation mit einer gewissen Distanz, quasi von außen beobachten. Die Literaturwissenschaftler Franz Haas, Hermann Schlösser und Klaus Zeyringer bedienten sich nun dieses therapeutischen Blickwechsels, um eventuelle Krankheitsherde in der österreichischen Literaturlandschaft auszumachen. Das Trio wurde schnell fündig und diagnostizierte fortgeschrittenen Solipsismus. Die drei Doktoren ließen der einleitenden Diagnose in Form eines Gesprächsprotokolls Einzelanalysen folgen, sie fassten den Literaturbetrieb in Italien und Frankreich zusammen und untersuchten die Aufnahme der österreichischen Literatur in diesen Ländern sowie in Deutschland. Auch in den jeweiligen Einzelstudien wird der Diagnose, der Kritik an den "österreichischen Verhältnissen" viel Raum gewährt, dabei kommt nur leider manchmal die Anamnese zu kurz. Klaus Zeyringer holt sich Unterstützung bei den Methoden des großen Mediziners Pierre Bourdieu und konstatiert eine Verengung des Feldes ("Im Österreich der Jahre 2000/2001 bestimmen kaum mehr als 15 Personen die literarisch-ästhetischen Werte"), kann aber seine dichte Soziologie des engen literarischen Feldes nur anreißen. Das liegt natürlich - wie bei den Beiträgen von Schlösser und Haas - am mangelnden Raum und der Konzentration auf die Außenperspektive, bleibt aber als Manko bzw. Desiderat bestehen. Zudem verabsäumt Zeyringer es, seine eigene Position im literarischen Feld genau auszuleuchten, was wohl Voraussetzung wäre für eine fundierte soziohistorische Analyse des kleinen österreichischen Literaturbetriebsackers. Sympathisch ist sein Unterfangen, entgegen dem Usus hierzulande die Übel (bzw. die in seinen Augen üblen Gesellen) "beim Namen zu nennen". (Franz Haas steht ihm hier zur Seite und spricht etwa von "Kolleritschs Machtgehege".) Leider bleibt Zeyringer darin nicht immer konsequent, er habe etwa "von vielen Seiten Klagen gehört", dass "jüngere Germanisten und Kritiker aus Wien auf einer Tagung in den USA auf eine sehr schulmeisternde Art" über Gegenwartsliteratur geurteilt hätten. Solche Unschärfen bleiben nicht die einzigen Eigentümlichkeiten, Zeyringer zeigt sich zum einen in der hohen Kunst der Polemik nicht immer stilsicher (der Bernhard-Forscher Martin Huber wird bei ihm zum "Ministranten"), zum anderen hat er sich (etwas abgeschwächt unterstützt von Haas) ziemlich monoton auf zwei Lieblingsfeinde eingeschossen. Der eine, Klaus Kastberger, saß (neben Thomas Eder, Bernhard Fetz und Daniela Strigl) auf jenem "inkriminierten" Podium in Philadelphia, die andere, Elfriede Jelinek, bietet seit "Die Kinder der Toten" ohnehin breite Angriffsflächen. Zweifellos ist der Kritiker Kastberger ein Verfechter jener Literatur, die die drei Autoren etwas unreflektiert als "Avantgarde" bezeichnen, aber etwa sein Engagement für die Literatur einer Marianne Fritz als "elitistisches Objekt" einer "ästhetischen Privat-Begierde" zu diffamieren, scheint mir unfair zu sein (einmal davon abgesehen, dass sich auch der Suhrkamp Verlag oder die "Institution" Wendelin Schmidt-Dengler für Marianne Fritz einsetzen). Von einem Verfechter eines möglichst offenen Kanons wäre mehr Gelassenheit gegenüber solchen Spezialliteraturen wünschenswert gewesen. Persönliche Vorlieben sollten natürlich spätestens dann so weit wie möglich außen vor bleiben, wenn es um die Verteilung öffentlicher Gelder über Förderungen und Preise geht - hier greift die Solipsismus-Kritik am ehesten, weniger Polemik, mehr kühlere, ausführlichere Analyse wäre allerdings wünschenswert gewesen. Die Autoren sind sich naturgemäß der Schwierigkeiten ihres Unterfangens bewusst, so streifen sie denn auch immer wieder die notwendigerweise schwammige Diskussion über Qualitätskriterien und -urteile ("Die ästhetischen Erklärungen kommen vielleicht tatsächlich etwas zu kurz, sie sind aber auch ungemein schwierig"). Hermann Schlösser, der Konzilianteste des Trios, stellt aber auch fest, dass "wir eigentlich sehr weit kommen, ohne die Frage nach der ästhetischen Qualität zu stellen, weil wir eben Rezeptionen untersuchen" (auch wenn im Vorwort steht, es gehe "nicht in erster Linie um eine Rezeptionsgeschichte"). Diese Untersuchungen der Aufnahme österreichischer Literatur in Deutschland, Italien und Frankreich stellen - gemeinsam mit den Funktionsanalysen der jeweiligen Literaturbetriebe - denn auch die interessantesten Teile der "Blicke von außen" dar. So erfährt man etwa, dass der meistgelesene österreichische Gegenwartsautor in Italien seit Jahren Robert Schneider ist, Franz Haas erklärt das auch mit der Übersetzung, in der "manche peinlichen Stellen abgeschliffen wurden". Von solchen Ausnahmen abgesehen ist die Bilanz in den beiden romanischen Ländern ernüchternd, die Literatur Österreichs kommt außerhalb der germanistischen Institute praktisch nicht vor. Das liege weniger an der Kleinheit des Landes, schweizerdeutsche Literatur werde sehr wohl übersetzt, als vielmehr, so Haas' Quintessenz, an der "Unverständlichkeit" des Österreichischen außerhalb seiner Grenzen. Die erhellenden Blicke auf das Außen, so auch Hermann Schlössers Abhandlung über das schwierige Verhältnis Österreich/Deutschland, funktionieren in diesem Buch besser als die sich im Innerösterreichischen verbeißenden Blicke von außen. Für tiefergehende Blicke wende man sich am besten gleich an jenes Buch, das im Vorwort als Auslöser für das Unternehmen zu dritt genannt wird: Klaus Zeyringers 2001 wiederaufgelegte "Österreichische Literatur seit 1945". Wolfgang Straub 20. August 2003 Originalbeitrag
|
|